Kein HR-Event und kaum ein Podcast ohne Erwähnung der Generationen X, Y, Z. Allein in den letzten zwei Tagen titelten verschiedene Tageszeitungen:
Und auch die Artikel für die Zielgruppe Personal nimmt das Thema gerne auf:
Generation Y und Z: Gutes Gehalt und Homeoffice reichen nicht – Wie Unternehmen bei jungen Bewerbern punkten (Handelsblatt)
Quiet Quitting: Methode innere Kündigung – das neue Faible der Generation Z (Welt)
Generation Z: Ghosting wird für Unternehmen zum Problem (Wirtschaftswoche)
Quiet quitting: Die Generation Z macht Arbeitgeber ratlos (NZZ)
Bewerber-Ghosting: Wenn der neue Kollege einfach wegbleibt (Spiegel)
Auf die unendliche Zahl der Beratungsangebote oder die irsinnigen Reichweiten entsprechender Influencer:innen gehe ich hier erst gar nicht ein.
Das Generationenkonzept - Eine Kurzversion
Die Argumentation rund um die Generationen ist relativ klar. Menschen, die in unterschiedlichen Jahrgangskohorten geboren sind, werden zu bestimmten Generationen zusammengefasst. Nachfolgend die Einteilung von Studyflix:
Traditionalisten (1922 – 1945)
Baby Boomer (1946 – 1964)
Generation X (1965 – 1979)
Generation Y / Millennials (1980 – 1994)
Generation Z (1995 – 2010)
Generation Alpha (ab 2010)
Diesen Generationen werden unterschiedliche Werte, EInstellungen und Verhaltensweisen zugeschrieben, die sich auch im Arbeitskontext niederschlagen. Folglich, so die Advokaten dieses Ansatzes, sollen Unternehmen deutlich verschiedene HR-Strategien für diese Generationen aufsetzen.
In ihrer Klarheit ist diese Argumentation ja auch irgendwie direkt einleuchtend. Und so kommt es, dass die Argumente auch immer häufiger mantra-artig in den Strategie-Meetings von Personalbereichen auftauchen. Doch da stellt sich doch die Frage: Sind die Generationen wirklich so unterschiedlich, dass man Geld auf eine spezifische Strategie verwendet?
#Spoiler: Die kurze Antwort lautet "Nein!".
Generationen - Das sagen die Daten!
In der Meta-Analyse von Costanza und Kolleg:innen (2012) haben die Autoren die Korrelationen verschiedener Generationen mit wichtigen arbeitsbezogenen Einstellungen und Verhaltensweisen (Arbeitszufriedenheit, Commitment, Wechselbereitschaft) ausgewertet. Auf Basis der Analysen von über 19.000 Datensätzen kommen sie zu dem sehr eindeutigen Schluss:
"The pattern of results indicates that the relationships between generational membership and work-related outcomes are moderate to small, essentially zero in many cases." (S. 375)
Diese Studie kommt zu diesem Schluss, weil die Mittelwertunterschiede zwischen den Generationen mit Blick auf die beobachteten Variablen einfach nicht wirklich groß sind (siehe Abbildung). Eine Aussage wie "Die Millenials sind weniger gebunden an den Arbeitgeber!" kann anhand solcher Daten nur als reiner Glaubenssatz bezeichnet werden.
Auch in Deutschland haben sehr fähige Forscher:innen das Generationenkonzept unter die Lupe genommen. Biemann und Weckmüller (2013) haben sich gezielt mit einigen Primärstudien befasst und fassen ihre Ergebnisse so zusammen:
"Die Unterschiede in den arbeitsbezogenen Einstellungen zwischen Generationen sind zu gering, um eine grundsätzliche Neuausrichtung der Personalarbeit zu begründen." (S. 47)
Die Autoren weisen zudem darauf hin, dass statistische Unterschiede in den gefundenen Effekt bei mindestens 0,8 liegen müssten, um als stark bezeichnet zu werden. Die obige Abbildung zeigt nur einen Effekt (von 18), der bei ca. 0,5 liegt (also moderate Unterschiede zwischen Babyboomern und Gen X bei der Bindungsneigung zum Unternehmen).
Ich höre schon die Zweifler:innen mit dem Satz "die Studie ist ja schon von 2012 und umfasst gar keine Gen Z!". Auch wenn ich natürlich entgegnen würde, dass die Abwesenheit von Evidenz weder als Argument für noch gegen eine Hypothese genommen werden kann. Aber zusätzlich habe ich noch einen etwas jüngeren Literaturüberblick gefunden. Parry und Urwin (2021) befassen sich mit der Frage: "Macht eine deutliche Unterscheidung von Werten, Einstellungen und Verhaltensweisen allein auf Basis abgegrenzter Geburtsjahrgänge Sinn?" Die Autoren kommen auf Basis aller evaluierten Fachartikel zu dem klaren Schluss:
"HRM professionals should therefore move away from designing practices based upon generational categories that promote stereotypes and take a more flexible approach that considers how any changes identified in existing studies can be accommodated to promote inclusion within organisations." (S. 864)
Ein letzter Check, steht aber noch aus. Um Generationeneffekte zu finden, müsste man streng genommen die Einstellungen von Menschen aus verschiedenen Generationen zum selben Lebenszeitpunkt (aka im selben Alter) vergleichen. Also müsste man jeweils eine 30-jährige Person aus jeder Generation und das für jedes Alter vergleichen. Das nenntn man in der Wissenschaft "Cohortenstudie". Genau so eine Studie hat Martin Schröder (2018) mit deutschen Daten von über 70.000 Individuen und ihren Lebenszielen veröffentlicht. Das klare Ergebnis drückt Schröder in sehr informativen Podcastfolge von "Wissen Weekly" so aus:
"Man kann die unterschiedlichen EInstellungen von Menschen nicht auf deren Geburtszeitpunkt zurückführen."
Selbst das Institut für Generationenforschung findet lediglich kleine Unterschiede zwischen Babyboomern und Generation Z. Rudolph Maas führt diese Unterschiede in der gleichen Podcastfolge auf die deutlich unterschiedliche Arbeitsmarktsituation und die daraus entstehende Intensität des Wettbewerbs zwischen Menschen zurück.
Die Datenlage zeigt also deutlich, dass die Umsetzung von spezifischen HR-Strategien für die jeweiligen Generationen unnötig ist. Also nicht für die, die damit viel Geld verdienen. Aber eben für die, die dieses Geld bezahlen. Es ist sogar noch schlimmer. Unternehmen zahlen viel Geld für Empfehlungen, die wahrscheinlich zur Förderung von Stereotypen und Ageism beitragen.
Das bedeutet allerdings nicht, dass es keinerlei Unterschiede zwischen verschiedenen Altersgruppen oder Menschen in unterschiedlichen Lebensphasen geben kann. Nur diese Unterschiede haben einfach gar nichts mit der Generation (aka dem Geburtsjahr) zu tun.
Vorschläge für eine sinnvolle HR-Strategie
Ich gebe ehrlich zu, dass diese Ergebnisse in ihrer Klarheit für mich neu waren. Und weil ich gerne konstruktiv mit solchen Einsichten umgehe, habe ich mir ein paar spontane Gedanken gemacht. Was kann man als Unternehmen denn mit dem Geld anfangen, was man nun spart?
Verstehen der Individuen statt Schubladendenken!
Anstatt sich mit stereotypischen Einteilungen ganzer Altersgruppen zufrieden zu geben, könntet ihr versuchen die Verschiedenheit der Lebensrealitäten der individuellen Menschen zu verstehen. Das gilt für Bewerber:innen und auch eure aktuellen Mitarbeiter:innen. Welche Sorgen und Wünsche haben diese Menschen aktuell und was folgt daraus für den Mix aus hybridem Arbeiten, Urlaubsregelungen, Versicherungslösungen, Benefits oder Gehälter? Und noch wichtiger ist die Frage: Mit welchem personalisierten Mix-Angebot könnt ihr euch vom Wettbewerb abgrenzen!
Personalisierung durch People Analytics statt Geld für Mythen!
Die Hinweise auf mögliche Ansatzpunkte für diese Personalisierung erhaltet ihr aus eurem People Analytics Team. Dazu müsst ihr natürlich die richtigen Daten sammeln, integrieren und gekonnt auswerten. Mythen können dabei gerne als Ausgangspunkt für eine Daten basierte Prüfung entsprechender Hypothesen mittels fortgeschrittener Statistik dienen. Doch die erlhaltenen Ergebnisse sollten dann als Basis für die Handlungsempfehlungen an eure Führungskräfte genutzt werden. Auch wenn sie den lieb gewonnenen Mythen widersprechen!
Additional information: This article reflects my personal views only and is not necessarily the view of the companies, I am associated with.
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