Hey, hey,... beantworte mir mal bitte kruz die folgende Frage: Seit wie vielen Jahren wollen wir Personaler*innen den Menschen wieder in den Mittelpunkt des Business stellen?
Genau, gefühlt seit mehreren Jahrzehnten. Welche Forschritte haben wir in dieser Zeit gemacht?
Nehmen wir das Beispiel Diskriminierung in der Personalauswahl. Ein neuer Job kann Dein Leben verändern! Arbeit bedeutet Status, Einkommen, Identifikation, Erfolgsgefühl und eine verbesserte Wahrnehmung der Selbstwirksamkeit auf dem Arbeitsmarkt. Ich fühlte mich immer sehr gut, wenn ich das Spiel der erfolgreichen Bewerbung gewonnen habe. Genau deshalb müssen wir das Problem der Diskriminierung in der Personalauswahl deutlich gründlicher angehen! In ihrer Meta-Analyse aus den USA finden Quillian und Kolleg*innen (2017) keine Veränderung der Diskriminierung gegenüber "People of Color" seit...haltet euch fest...1989...ja, seit neunzehnhundertneunundachtzig!
Lasst euch das bitte mal auf der Zunge zergehen. Alle strategischen Veränderungen des Recruitings, alle technischen Innovationen, alle Anti-Diskriminierungstrainings, alle Gesetzesänderungen und Programme zur Förderung von Diversität und Inklusion haben keinen positiven nationalen Nettoeffekt auf Fairness der Talentakquise in den USA gehabt.
Doch wie steht es eigentlich um Diskriminierung bei der Personalauswahl im deutsch-sprachigen Raum? Was sagen aktuelle Studien über die potenzielle Ungleichbehandlung bestimmter Gruppen von Menschen? Ich habe euch ein paar Studien zusammengestellt, die sich mit dieser Thematik befassen. Basierend auf diesen Beispielen lade ich euch ein:
Eure Prozesse mit Blick auf potenzielle Benachteiligungen zu prüfen
Die Studien als Ansatzpunkte für eigene Analysen im Unternehmen zu nutzen
Weitere Evidenz zusammenzutragen und diese mit euren Kolleg*innen zu teilen
Ursachen für eine potenzielle Diskriminierung zu identifizieren und zu beheben
Disclaimer: Das hier ist kein vollständiger Literaturüberblick. Es ist eine selektive Zusammenstellung aktuell veröffentlicher Studien zum Recruiting in Deutschland.
Kurzer Ausflug in die experimentelle Methodik: Viele der zitierten Studien verwenden eine Methodik namens "Correspondence Testing". Diese Studien erhebn ihre Daten durch das Versenden fiktiver CV-Paare, bei denen die Lebensläufe in fast allen Punkten exakt ähneln. Lediglich die Informationen zum jeweiligen Untersuchungsgegenstand (z.B. Migrationshintergrund, Alter, sexualle Orientierung, Geschlecht) unterscheiden sich zwischen den beiden Versionen eines Lebenslaufpaars. Diese Lebensläufe werden dann auf echte Stellenausschreibungen versendet und gemessen, ob die Rückmeldungen signifikant unterschiedlich sind. Wenn ein Lebenslauf einer fiktiven Person mit Migrationshintergrund beispielsweise deutlich weniger Einladungen zum Vorstellungsgespräch erhält, als die fiktive Person mit einem ansonsten gleichen Lebenslauf, wird dies als Indiz für Diskriminierung in der Rekrutierung gewertet.
Zwei Formen von Diskriminierung: Wenn Studien ein Indiz für Diskriminierung finden, dann handelt es sich meistens um eine von zwei Formen von Benachteiligung. Einerseits gibt es die so genannte statistische Diskriminierung. Die besagt, dass Recruiter*innen Beurteilungsfehler machen, weil sie lediglich über unvollständige Informationen über eine bestimmte Gruppe von Menschen verfügen. Zum Zeitpunkt der Rekrutierung sind die Informationen über die spätere Produktivität eines Bewerbenden immer unvollständig. Menschen versuchen denn diese fehlenden Informationen auf Basis der durschnittlich zu erwartenden Leistung einer Person anzureichern. Diese zu erwartenden Leistung machen sie z.B. an ihrem Eindruck über den durschnittlichen Bewerbenden aus der jeweiligen Herkunfts-Gruppe fest. Etwas salopp könnte man sagen: Ein deutscher und ein nicht-deutscher Bewerber mit identischen Lebensläufen werden vielleicht unterschiedlich bewertet, weil sie vor dem Hintergrund unvollständiger Informationen jeweils anhand ihrer ethnischen Gruppenzugehörigkeit nach oben oder unten "verzerrt" werden. Die zweite Form der Diskriminierung ist "Taste-based Discrimination", die immer dann vorliegt, wenn direkte Vorurteile gegenüber einer bestimmten Person zur Herabwürdigung der jeweiligen Bewerbung führen. Salopp gesagt: Diese Form der Diskriminierung ist direkter und begründet sich aus einer Abneigung geben bestimmte Personen.
Wichtig ist: Beide Formen der Diskriminierung haben negative Folgen für die jweiligen Personen. Aber die Handlungsoptionen zur Bekämpfung der Diskriminierung unterscheiden sich erheblich. Verkürzt dargestellt kann man sagen, dass statistische Diskriminierung durch die Vervollständigung der Informationsbasis abgemildert werden kann. Voruteils-basierte Diskriminierung bleibt bestehen, selbst im Angesicht besserer Information.
Puh, das war etwas heavy. Aber es lohnt sich. Denn nun kommen wir zu den konkreten Studien. Danke, dass Du soweit durchgehalten hast.
Diskriminierung gegen Personen mit Migrationshintergrund
Zschirnt und Ruedin (2016) fassen in ihrer Meta-Analyse 730 solcher Correspondence Tests aus 42 unterschiedlichen Studien zur Diskriminierung in der Rekrutierung von Menschen mit Migrationshintergrund zusammen. Sie decken damit eine Zeitspanne von 25 Jahren der Forschung (1990-2015) ab. Sie finden heraus, dass Angehörige von Minoritäten eine 40% geringere Quote haben, zu einem Interview eingeladen zu werden. Bezüglich der Rückrufrate durch die Recruiter*innen kommt heraus, dass Menschen mit Migrationshintergrund durchschnittlich 50% mehr Bewerbungen schrieben müssen, um einen positiven Rückruf zu erhalten.
Diskriminierung gegen Frauen
Andere Studien haben sich mit der potenziellen DIskriminierung von Frauen bei der Rekrutierung vor offene Stellen befasst. Kübler und Kolleg*innen (2018) finden heraus, dass Frauen in Deutschland trotz gleicher Qualifikation in fiktiven Lebensläufen in allen Berufszweigen diskriminiert werden. Die Bewerbungen von Frauen werden signifikant häufiger als "schlecht" bewertet, was im Design der Studie eine sehr geringe Chance auf ein Bewerbungsgespräch bedeutet. Zum Vergleich: 241 weibliche Lebensläufe diese Bewertung erhalten aber nur 97 männliche Lebensläufe. Durchschnittlich wurden Frauen 0.91 Punkte schlechter bewertet und das Geschlecht machte umgerechnet ungefähr einen Unterschied einer ganzen Note im Schulabschluss aus (obwohl die Noten in den Lebensläufen ja identisch waren). Die Studie zeigt zusätzlich, dass die Diskriminierung in weiblich-dominierten Berufsgruppen deutlich geringer ausfällt. Mourelatos (2021) kommt zu dem Ergebnis, dass Frauen deutlich seltener rekrutiert werden, als Männer. Hipp (2020) analysiert die Folgen des Elternseins für den Recruitingerfolg von Frauen und Männern. Allgemein zeigt sich, dass Frauen in diueser Studie häufiger einen Rückruf erhalten als Männer. Die spannenden Ergebnisse weisen aber darauf hin, dass Frauen mit Kindern signifikant seltener angerufen werden, als Frauen ohne Kinder. Bei Männern gibt es keinen Unterschied zwischen Vätern und kinderlosen Bewerbern. Frauen werden also stärker diskriminiert, wenn sie Kinder haben.
Diskriminierung gegen homosexualle Menschen
Die Meta-Analyse von Flage (2020) fasst die Ergebnisse von 18 Studien zur Diskriminierung gegenüber homosexuallen Menschen in verschiedenen OECD-Ländern zusammen. Auf Basis von über 50.000 Lebensläufen kommt er zu dem Schluss, dass homosexualle Menschen im Recruiting ähnlich häufig benachteiligt werden, wie Menschen mit Migrationshintergrund. Die Diskriminierung fällt zudem deutlich stärker aus, wenn es sich um Vakanzen mit niedrigen Qualifikationsanforderungen handelt. Die Daten zeigen deutlich, dass die Diskriminierung in Europa stärker ist als in den USA. Weichselbaumer (2000) findet ebenfalls deutliche Hinweise für eine Diskriminierung lesbischer Bewerberinnen. Lesbische Frauen wurden 12% seltener eingeladen als hetrosexualle Frauen bei ansonsten identischen Lebensläufen. Mourelatos (2021) kommt zu ähnlichen Ergebnissen für homosexualle Männer. Sie wurden ebenfalls deutlich seltener eingeladen. Everly und Kolleg*innen (2016) zeigen, dass homosexualle Bewerber*innen insbesondere dann benachteiligt werden, wenn der Rekrutierende ein Mann ist.
Es gibt Forschungszweige, wie den der Diskriminierung im Recruiting, die auf Grund ihrer klaren Evidenz für ein gesellschaftliches Problem so wertvoll sind. Zugleich sind ihre Ergebnisse so erschlagend.
So, jetzt bin ich ertsmal genervt von diesen Ergebnissen und insbesondere vom unfairen Recruiting, dass diese Ergebnisse verursacht. Vor meiner Recherche hatte ich zwar eine Vermutung, dass es eine gewisse Evidenz für Diskriminierung im Recruiting gibt. Dass aber Studien aus den Jahren nach 2020 weiterhin teils deutliche Hinweise auf Diskriminierung im Arbeitsmarkt des deutschsprachigen Raums finden, ist inakzeptabel. Auch wenn ich annehme, dass diese Diskriminierung oftmals unterbewusst und nicht bösartig abläuft, so führt sie dennoch zu einer massiven Ungerechtigkeit im Ergebnis.
Und jetzt?
Wir alle haben die Möglichkeit zu helfen und diese Evidenz in Zukunft zu verbessern. Meine Vorschläge dazu sind vielseitig. Wir können uns unsere möglichen Vorurteile bewusster machen. Wir können uns in den entsprechenden Netzwerken engagieren. Und aus Sicht meiner persönlichen #HRDatenliebe wäre es wirklich sehr sinnvoll, wenn wir uns auf die Suche nach möglicher Diskriminierung in unseren Recruitingdaten machen. Dabei geht es mir gar nicht um die Identifikation von Personen, die vielleicht diskriminiert haben. Mir geht es lediglich darum Ansatzpunkte zu finden, wie wir diese Diskriminierung im Zeitverlauf zunehmend abstellen können. Wie könnte so eine Analyse aussehen? Eigentlich ist es recht einfach. Wir müssten einfach regelmäßig interne Analysen mittels fiktiver Lebensläufe im eigenen Recruiting durchführen. Die Ergebnisse müssen dann in Beziehung zu einer Vielzahl weitere HR-Daten gesetzt werden, um die Treiber möglicher Diskriminierung zu identifizieren. Diese Treiber sind dann unsere Stellscharauben für eine Verbesserung der Situation. Und wenn solche Analysen zeigen, dass das eigene Recruiting ohne signifikante Diskriminierung auskommt, dann ist das doch ein super Argument für die eigene Unternehmenskultur und das Wertegrüst eines Unternehmens.
Additional information: This article reflects my personal views only and is not necessarily the view of the companies, I am associated with.
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